“Mehr Zeit für sich selbst nehmen”: Warum Introvertierte mehr Ruhe brauchen 

Ich erkläre dir, warum insbesondere introvertierte öfter abschalten (müssen) als extrovertierte Menschen.

Ich erkläre dir, warum insbesondere introvertierte öfter abschalten (müssen) als extrovertierte Menschen.

Was machst du, wenn dir die Luft ausgeht? Du nimmst einen Urlaub, ein Sabbatical, gibst dein Smartphone für eine Zeit auf und machst Digital Detox. Die trendbewussten Menschen unter uns setzen gerne auf Joggen oder den neuesten Trend “Shinrin Yoku”, Waldbaden. Es gibt viele Möglichkeiten abzuschalten. Ich erkläre dir, warum insbesondere introvertierte öfter abschalten (müssen) als extrovertierte Menschen. Mit einfließen lasse ich aber auch, was mich mein unfreiwilliges Abschalten die letzten anderthalb Wochen gelehrt hat.

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Wie sehr lassen wir uns von neuen Dingen vereinnahmen?

Heutzutage gibt es so viele Dinge, Technologien und Situationen, die uns gänzlich vereinnahmen, uns bis tief in die Nacht beschäftigen und uns manchmal gar nicht mehr schlafen lassen.

Wie bei vielen anderen Freiberuflern ist es auch bei mir das Reisen und Arbeiten, dass mich oft sehr vereinnahmt. Dazu kommen dann diverse Netzwerkveranstaltungen, Kaffeetreffen und andere Unternehmungen, die meine Zeit beanspruchen dürfen — denn der Austausch mit anderen Menschen macht mir Spaß. ;-) Aufgrund diverser Ereignisse, über die ich bereits geschrieben habe, musste ich mich leider die letzten Monate aber etwas zurückziehen. Meine Batterien sind — immer noch — nicht soweit aufgeladen, wie ich das gerne hätte. Alles ist anstrengender und raubt Energie. Schlapp. Aus und vorbei.

In solchen Momenten hat man nur wenige Möglichkeiten — und ich hoffe, du findest die für dich passenden. So wie ich meine gefunden habe. Wie der Titel schon verrät meine ich eine Auszeit. Ein unbestimmter Zeitraum, in dem du deine Batterien auflädst und anschließend wieder Vollgas im Privat- und Berufsleben geben kannst.

Nur sind diese Momente der Ruhe weitaus schwieriger zu erreichen. Das wollen uns zumindest unser Pflichtbewusstsein, die Gesellschaft und die vermeintlichen Erwartungen anderer vorgaukeln.

Tatsache ist aber auch, dass du als introvertierter Mensch weitaus öfter zur Ruhe kommen musst, als deine extrovertierten Kollegen.

Warum brauchst du als Introvertierter mehr Ruhe

Hierfür habe ich sogar eine wissenschaftliche Erklärung. Allerdings muss ich dafür etwas weiter ausholen.

Als introvertierter Mensch reagiert dein Gehirn stärker auf den Neurotransmitter Acetylcholin. Wie Dopamin ist auch Acetylcholin mit dem Lustzentrum des Gehirns verbunden. Der Unterschied zwischen den beiden Stoffen: Mit Acetylcholin fühlen wir uns gut, wenn wir uns bewusst mit unserem Inneren befassen. Es befähigt dich, ausgiebig über Dinge nachzudenken, zu reflektieren und du kannst dich über einen langen Zeitraum auf eine Sache intensiv konzentrieren.

Untersuchungen haben ergeben, dass das Nervensystem eines jeden zwei Modi aufweist: parasympathisch und sympathisch. Wenn du deine parasympathische Seite nutzt, fühlst du dich ruhig und du bist nach innen gerichtet. Dein Körper spart Energie und entzieht sich der Umgebung. Deine Muskeln entspannen sich, du sparst Energie und deine Herzfrequenz sowie dein Blutdruck verlangsamen sich.

Die sympathische Seite macht es umgekehrt: Sie versetzt uns in einen Kampf- oder Fluchtzustand. Dein Blutdruck und deine Herzfrequenz sind erhöht. Du bist wachsam und bereit zu handeln.

Du kannst es dir sicherlich schon denken — als introvertierter Mensch gedeihst du, wenn du so oft wie möglich im parasympathischen Modus arbeitest. So erklärt sich — zumindest die Wissenschaft — das Verlangen introvertierter Menschen nach Ruhe.

Was extrovertierte Menschen verstehen sollten: Der Wunsch Introvertierter nach nachdenklichen Aktivitäten — möglichst ohne andere Menschen — ist kein asoziales oder launisches Verhalten. Vielmehr ist es ein physiologisches Bedürfnis, das von der jeweiligen Gehirnchemie und -funktion bestimmt wird.

Was passiert also einem introvertierten Menschen wie dir oder mir, wenn wir nicht genügend Zeit für uns haben? Wir ermüden, spüren geistige und körperliche Erschöpfung, haben Probleme mit der Konzentration und sind reizbar.

Du hast keine Zeit für dich, weil sie dir davon rast?!

Und jetzt fragst du dich vielleicht: Und woher soll ich die Zeit nehmen? Schließlich hast du davon nicht plötzlich mehr. Die Arbeit muss auch weiterhin getan werden und Verpflichtungen füllen den Alltag. Und dann kommt noch das Alter hinzu.

Denn mit jedem weiteren Lebensjahr beschleicht einen das Gefühl. dass die Zeit immer schneller läuft. Aber auch die Gesellschaft schreibt uns ein Gefühl des Getriebenseins vor. Soziale Medien betonen diesen Umstand — schließlich sind Kanäle wie Twitter geprägt von Geschwindigkeit und Kurzlebigkeit. Sie sind aber nicht nur Zeitfresser. Tagtäglich bekommen wir Bilder und Nachrichten, die uns das perfekte, glamouröse und erfolgreiche Leben zeigen. Ständig wird dir gezeigt, was du noch alles tun könntest und müsstest.

Vorbei ist es mit der Ruhe und dem Alltagsleben. Wir setzen uns ständig selbst unter Druck — schließlich wollen wir genauso erfolgreich sein, wie es uns überall gezeigt wird.

Viel wichtiger — und gesünder — wäre es aber innezuhalten und darüber nachzudenken, was einen ganz persönlich glücklich macht. Ich hab meinen Urlaub in Salzburg genossen und konnte sogar ein wenig abschalten. Zum richtigen Nachdenken kam ich allerdings erst in den letzten zwei Wochen, in denen ich die meiste Zeit schlafend oder arbeitend im Bett verbracht habe. Zeit, die ich mir bewusst nehmen musste.

Zu sagen, dass man keine Zeit für sich selbst hat, ist also meiner Meinung nach eine Selbstlüge. Zeit kannst du dir immer nehmen — egal, wie kurz sie auch sein mag. Versuche dir Zeitpunkte oder Termine zu schaffen, die du nur für dich nimmst. Alltagssorgen und Verpflichtungen lässt du für diese Zeitdauer einfach vor der Haustür:

  • Vereinbare einen Termin mit dir selbst: Nimm dir 15 bis 30 Minuten täglich nur für dich.

  • Schalte richtig ab: Wenn du Zeit für dich nimmst, dann versuche die Zeit weg von Smartphone, Tablet oder PC zu nutzen.

  • Setze dir Prioritäten und sag auch mal “Nein”: Wir sagen zu vielen Dingen viel zu oft ja. Und am Ende beschäftigen wir uns mit Aufgaben, die wir gar nicht machen wollen. Mach die Aufgaben, die dir wirklich wichtig sind — mach sie nacheinander und nicht alle gleichzeitig. ;-)

Was du mit deiner Zeit anstellen kannst

Du hast dir Zeit freigeschaufelt. Du weißt aber nicht, was du mit der Zeit machen sollst? Mach dir keinen Kopf. In den letzten zwei Wochen hab ich auch öfter im Bett still gelegen und darüber nachgedacht. Erstaunlich, was passiert, wenn man — unfreiwillig — innehalten muss.

Plötzlich scheint man kaum noch etwas zu tun zu haben. Selbst Verpflichtungen scheinen nicht mehr so dringend zu sein wie sonst. Alles wirkt gemächlicher, man kann viele Gedanken zu Ende denken und alles wird viel klarer.

Wie ich meine Zeit genutzt habe? Ich habe sehr viel geschlafen — etwas, das ich mir in der Zeit davor zu selten gegönnt habe. Das Nichtstun hat mir aber auch sehr geholfen. Im Bett zu liegen, die Sonnenstrahlen zu spüren, den Geräuschen im Haus und draußen zu lauschen — und ja, auch unsere Kater hopsten auf mir herum. ;-).

Von einem auf den anderen Tag meldete sich meine Kreativität mit der einen oder anderen Idee — und der Drang zu Kreieren und auszuprobieren war groß: Ein TikTok- und ein neuer Instagram-Account entstanden. Ich bastelte mehrere Videos und probierte mich an dem Entwickeln von Gifs aus — ja, einen Giphy-Account habe ich jetzt auch. Kurzum: Die zweiwöchige unfreiwillige Auszeit bescherte mir eine Welle der Kreativität und Klarheit, auf die ich schon gewartet hatte. :-)

Wie du deine Zeit gestalten kannst:

  • Erholung und Entspannung sind wichtig, damit du deine Batterien wieder aufladen kannst. Meditation, Spazierengehen, Schwimmen oder in die Sauna gehen, es gibt viele Möglichkeiten, um sich zu entspannen. Mach das, was dir Spaß macht und dir gut tut.

  • Vielleicht geht es dir auch wie mir und dir schwirren ständig irgendwelche Ideen im Kopf herum. Du hast aber nie die Zeit, sie aufzuschreiben oder über sie in Ruhe nachzudenken? Dann nimm dir Zeit, arbeite an einer oder mehreren Ideen und schau, was passiert.

  • Viel zu selten planen wir gut und gezielt voraus. Aber warum nicht, die kommende Woche, den kommenden Monat oder das kommende Jahr planen? Schotte dich ab, sortiere in Ruhe deine Gedanken und notiere alles, was in nächster Zeit passieren wird oder was du gerne in Angriff nehmen möchtest.

  • Wenn du die Zeit nutzen willst, um dich persönlich weiterzuentwickeln, dann ist eine Selbstreflexion eine gute Idee. Womit bist du zufrieden? Was könnte deiner Meinung nach besser laufen? Wo willst du hin?

  • Zwischen den Jahren ist eine gute Zeit, um sich auf das kommende Jahr vorzubereiten: Welche Ziele hast du vor Augen? Gibt es Werte und Visionen, die du in diesem Jahr leben willst?

Wie kannst du am besten abschalten? Nimmst du dir schon genügend Zeit für dich selbst? Nimmst du sie dir bewusst?

Bildquelle:

  • Titelbild ©️ GaudiLab via depositphotos.com

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